Aufruf
an Papierhandel und -industrie in Deutschland
für
die Einhaltung von
Umwelt-
und Sozialstandards für Papier
10.
Juni 2005
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Für
einen sozial gerechten und ökologisch nachhaltigen
Umgang mit Papier
Um unseren Papierbedarf zu decken, werden auch illegal
geschlagene Hölzer eingesetzt, einige der letzten
Urwaldgebiete der Welt zerstört, indigene Völker
ihres Landes beraubt und die Lebensgrundlagen künftiger
Generationen gefährdet. Verantwortlich sind hauptsächlich
die Industriestaaten, die rund ein Fünftel der
Weltbevölkerung umfassen, aber mehr als 80 Prozent
des Papiers weltweit verbrauchen. Auch in
Deutschland hat der Papierverbrauch ein Niveau
erreicht, das mit einer nachhaltigen Entwicklung und
globaler Gerechtigkeit nicht vereinbar ist. Mit rund 230 Kilogramm pro Kopf
ist der Verbrauch hierzulande über viermal so hoch
wie im Weltdurchschnitt. Weniger als
10 Prozent des Zellstoffs, der benötigt wird, um
unseren verschwenderischen Umgang mit Papier
aufrecht zu erhalten, werden in inländischen Werken
aus hiesigem Holz hergestellt, über 90 Prozent
jedoch werden importiert. Unser übermäßiger
Verbrauch von Ressourcen aus anderen Erdteilen
verschärft die globale Ungleichheit zwischen armen
und reichen Ländern. Als Beitrag zu einer
sozial und ökologisch gerechten Entwicklung
weltweit müssen wir sparsamer mit Papier umgehen.
Die
unterzeichnenden Umwelt- und
Verbraucherorganisationen rufen Papierhandel und
-industrie auf, den Rohstoffbezug an die Einhaltung
von laufend überwachten Mindeststandards zu binden,
um die ökologisch nachhaltige und sozial gerechte
Herkunft von Zellstoff und Primärfaserpapier zu gewährleisten.
Darüber hinaus müssen alle gesellschaftlichen Kräfte
dazu beitragen, den Papierverbrauch deutlich zu
reduzieren und die Verwendung von Primärfaserpapier
auf das für den Recyclingzyklus notwendige Maß zu
beschränken. Um den Papierkreislauf zu verbessern,
sollte der Recyclinganteil weiter steigen und so
viel Papier wie möglich der Wiederverwertung zugeführt
werden. Wo es technisch möglich ist, sollte der
Anteil von Altpapier in Papiererzeugnissen
gesteigert und nach Möglichkeit Recyclingpapier mit
dem Blauen Engel eingesetzt werden.
Gleichzeitig sollte sich die Bundesregierung dafür
einsetzen, dass innerhalb der Europäischen Union
Herkunftsnachweise für Papierprodukte
vorgeschrieben werden.
Die
Schattenseiten von Primärfaserpapier
Die Zellstoff- und Papierproduktion
richtet in vielen Erdteilen immensen Schaden für
Mensch und Umwelt an. Weltweit wird inzwischen jeder
fünfte Baum für Papier eingeschlagen. Um den
Holzbedarf dieser Industrie zu decken, werden
wertvolle Waldökosysteme durch großflächigen
Kahlschlag und Umwandlung in Monokulturen
vernichtet. Der ökologische, ökonomische und
kulturelle Wert dieser Wälder geht dadurch für
immer verloren.
Millionen Menschen, die von und in intakten Wäldern
leben, verlieren so ihre Lebensgrundlage, Tier- und
Pflanzenarten sterben aus und es kommt zu Klimaveränderungen.
In vielen Ländern des Südens wie
Indonesien und Brasilien, aber auch in
Industriestaaten wie Kanada und Finnland, bestehen
schwerwiegende Konflikte um Landrechte und
Landnutzung zwischen Papierindustrie und der
einheimischen Bevölkerung. In etlichen Fällen
verarmen ganze Bevölkerungsgruppen. Verloren geht
so auch das traditionelle Wissen indigener Völker
um eine angepasste und schonende Nutzung der Natur.
Natürliche Wälder beherbergen den größten
Teil der bekannten Tier- und Pflanzenarten der Welt.
Mit ihrer Zerstörung und Umwandlung in Plantagen
oder naturferne Forste trägt die Zellstoffindustrie
maßgeblich zum weltweiten Verlust der Artenvielfalt
bei. Durch den von der Industrie geplanten Einsatz
genmanipulierter Baumarten droht nun zudem deren
unkontrollierte Ausbreitung und damit die Verdrängung
der ursprünglichen Flora und Fauna auch außerhalb
der Plantagen.
Wälder
spielen außerdem eine unersetzliche Rolle für das
Weltklima. Sie speichern enorme Mengen Kohlenstoff
in Vegetation und Böden und haben einen bedeutenden
Einfluss auf Strahlungs- und Wasserhaushalt der
Erde. Durch die Zerstörung intakter Wälder wird
mehr Kohlendioxid freigesetzt, als durch Aufforstung
mit Plantagen gebunden werden kann.
Durch die
Anlage von industriellen Monokulturen, die in den
meisten Fällen den Einsatz von Dünger und
Pestiziden erfordern, werden wertvolle
landwirtschaftliche Flächen, Wasserressourcen, die
ökologische Vielfalt und der kulturelle Lebensraum
der lokalen Bevölkerungen zerstört.
Trotz technischer Fortschritte bei den
Produktionsprozessen werden noch immer große Mengen
an Rohstoffen, Energie und Wasser verbraucht, um
Papier herzustellen. Insbesondere dort, wo die
Umweltstandards der westlichen Länder nicht gelten,
belastet die Papierindustrie Wasser, Böden und Luft
durch giftige Substanzen wie Chlor und
Chlorverbindungen.
Um die ökologisch und sozial verträgliche
Herkunft von Zellstoff und Primärfaserpapier zu gewährleisten,
müssen Papierhandel und industrie den
Rohstoffbezug an die Einhaltung von überprüfbaren
Mindeststandards binden.
Die
unterzeichnenden Verbände erheben daher die
folgenden Forderungen an Papier- und
Zellstoffhersteller sowie an den Groß- und
Einzelhandel:
1. Verwendung von Recyclingpapier steigern
Die Herstellung von Recyclingpapier ist
deutlich ressourcenschonender und umweltfreundlicher
als die von Primärfaserpapier. Papierhandel und
-industrie sollten daher:
-
Das Sortiment an Produkten aus 100 Prozent
Recyclingpapier mit dem Blauen Engel in allen
Bereichen ausweiten und den Altpapieranteil in allen
Papierprodukten maximieren.
-
Recyclingpapier auf allen Ebenen des
Vertriebes als umweltfreundlichste Variante
bewerben.
-
Geschäftsführung, Mitarbeiter und
Lieferanten über Qualität und Einsatzmöglichkeiten
von Recyclingpapier informieren.
-
Für die interne wie externe Kommunikation
auf Recyclingpapier-Produkte umsteigen.
2.
Umwelt- und Sozialstandards für die Rohstoffherkunft von Papier und
Zellstoff verbindlich festlegen
Papierhandel
und -industrie sollten künftig nur noch Zellstoff
und Primärfaserpapier in den Verkehr bringen,
wenn der Rohstoff Holz aus einer ökologisch
nachhaltigen, sozial gerechten und legalen
Waldnutzung stammt. Zu diesem Zweck muss von unabhängiger
Seite bestätigt werden, dass die nachfolgenden
Standards bei der Rohstoffgewinnung eingehalten
werden.
-
Die
Holzgewinnung muss unter Einhaltung
aller regionalen, nationalen und internationalen
gesetzlichen Bestimmungen erfolgen.1
-
In
den Herkunftsgebieten des Rohstoffes dürfen die
gesetzlich oder traditionell verankerten Landrechte,
die politischen Grundrechte2
und die ureigenen Interessen der lokalen Bevölkerung
wie die Mitbestimmung über die Landnutzung nicht
missachtet werden.
-
Bei
der Rohstoffgewinnung müssen grundlegende Arbeits-
und Sozialstandards3 sowie die einschlägigen
internationalen Konventionen zum Schutz der
Menschenrechte4 berücksichtigt werden.
-
Die
Rohstoffe dürfen nicht aus der zerstörerischen
Nutzung von Urwäldern, Primärwäldern oder Naturwäldern
mit besonderem Schutzwert (High Conservation Value
Forest) stammen (Einhaltung von FSC-Standards).5
-
Der
Rohstoff darf nicht aus Plantagen stammen, die durch
Umwandlung von Naturwäldern nach 1994 geschaffen
wurden.6
-
Das
für die Zellstoff- und Papierproduktion verwendete
Holz darf nicht von genmanipulierten Bäumen
stammen.
3. Für Transparenz sorgen
Transparenz der Rohstoffherkunft von
Papierprodukten existiert bisher kaum. Um nicht
akzeptable Rohstoffquellen auszuschließen, müssen
Papierhandel und -industrie die Handelskette
offen legen und eine Kontrolle der Produktwege ermöglichen.
Zur Überprüfung
der Angaben sind Nachweise von unabhängiger Seite erforderlich, welche die Rohstoffherkunft der
Produkte (Handelskette) nachvollziehbar belegen
(Angaben über Herkunftsland und Hersteller für
Zellstoff und Papier, für den Zellstoff verwendete
Baumarten und Bleichverfahren, forstliche
Zertifikate sowie Ausschluss der Verwendung
genmanipulierter Baumarten).
Derzeit
kommt auf internationaler Ebene das Siegel des
Forest Stewardship Council (FSC) diesen
Anforderungen am nächsten.
Andere internationale
Waldmanagement-Zertifikate stellen keine Garantie für
eine ökologisch nachhaltige Nutzung der Wälder und
die Wahrung der Rechte der Bevölkerung dar.7
Auch Hinweise auf Umweltmanagementsysteme geben
keinen Aufschluss darüber, ob ökologische und
soziale Mindeststandards bei der Nutzung der Wälder
eingehalten werden.
Bislang
bietet die Industrie noch nicht genügend
Papierprodukte an, die auf geeignete Weise
zertifiziert sind. Um die Verwendung von besonders
kritischen Zellstoff- und Papierprodukten bereits
heute auszuschließen, sind Industrie und Handel
aufgefordert, die Herkunftsangaben mit den
Informationen der Umweltorganisationen über
Konfliktgebiete und problematische Unternehmen
abzugleichen. Hierfür bieten die unterzeichnenden
Organisationen ihre Unterstützung an.
4. Saubere Produktionsprozesse wählen
Bei
der Wahl der Lieferanten von Zellstoff und Papier
sollten Papierhandel und -industrie auch die
Umweltbelastungen im Produktionsprozess berücksichtigen.
-
Energie,
Wasser, Chemikalien und Rohstoffe müssen so sparsam
wie möglich eingesetzt werden und die Abgabe von
Schadstoffen, Abwärme und Abfällen an die Umwelt
vermindert werden. Hierfür
sind der Einsatz geschlossener Produktionssysteme
sowie die Einhaltung modernster Umwelttechnologien
zur Rückhaltung von Schadstoffen notwendig (Best
Available Technologies). Entsprechende
Umweltstandards müssen auch außerhalb der
westlichen Länder eingehalten werden.
-
Der
Einsatz gesundheitsgefährdender und umweltschädlicher
Chemikalien, insbesondere von Chlor oder
chlororganischen Verbindungen, muss beendet werden. Produktionsverfahren,
bei denen auf Chlorverbindungen vollständig
verzichtet wird (TCF) sind der anzustrebende
Standard.
-
Zellstoff- und Papierhersteller müssen zur
Bewertung der Schadstoffbelastungen Umweltberichte
nach internationalen Richtlinien8
vorlegen.
-
Die Verwendung von Zusatzstoffen bei der
Papierherstellung und Weiterverarbeitung, die den
Recyclingprozess erschweren (z.B. Klebstoffe,
bestimmte Farben), sollte stetig vermindert und
langfristig vermieden werden.
5. Transportwege
berücksichtigen
Kurze Wege
zwischen Hersteller und Verbraucher verbessern die
Ökobilanz von Zellstoff und Papier. Um die
negativen Folgen unseres Papierkonsums im Ausland zu
vermindern, sollten die heimischen Holzvorräte
besser ausgenutzt und der inländische
Rohstoffanteil für die Produktion von Zellstoff und
Papier gesteigert werden.
Unser
Papierkonsum darf nicht länger auf Kosten der
Lebensgrundlagen indigener Völker und der letzten
Urwälder gehen. Papierhandel und industrie müssen
jetzt handeln, damit unser Papierbedarf in ökologisch
nachhaltige und sozial gerechte Bahnen gelenkt wird.
Monika Nolle, Arbeitsgemeinschaft Regenwald und
Artenschutz (ARA)
Helmut Klein, Waldpolitischer Sprecher, Bund
für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND)
Gerd Billen, Bundesgeschäftsführer, Naturschutzbund
Deutschland (NABU)
László
Maráz, Pro Regenwald
Jens
Wieting, ROBIN WOOD
Lydia
Bartz, Urgewald
Johannes
Zahnen, WWF Deutschland
Jupp Trauth, Evelyn Schönheit, Forum Ökologie &
Papier
Verbraucher-Zentrale Nordrhein-Westfalen
Petra Wiemann-Schmidt, Verband für Umweltberatung
Fußnoten:
1: Definition
illegaler Holzeinschlag: http://www.forestandtradeasia.org/files/ABN%20Amro%20Risk%20Policies.doc
2: Z.B.
Landrechte, Partizipations-, Versammlungsrechte
3:
ILO-Kernarbeitsnormen: Vereinigungsfreiheit und
Recht auf Kollektivverhandlungen, Beseitigung der
Zwangsarbeit, tatsächliche Abschaffung der
Kinderarbeit und Verbot der Diskriminierung in Beschäftigung
und Beruf
4:
ILO-Konvention 169 zum Schutz der Rechte Indigener Völker
Allgemeine Erklärung der
Menschenrechte (1948)
UN Konvention zur Eliminierung aller
Formen von Rassendiskriminierung (1966)
Internationale Übereinkunft zu ökonomischen,
sozialen und kulturellen Rechten (1966)
Internationale Übereinkunft zu zivilen
und politischen Rechten (1966)
5:
Definitionen Primärwald und Wälder mit hohem
Schutzwert (High Conservation Value Forests, FSC)
Primärwälder sind relativ intakte
Naturwälder, die in den letzten 69-80 Jahren
essentiell unverändert durch kommerzielle
menschliche Nutzung geblieben sind (Bank of
America). Primärwälder werden durch das
World Resource Institute (WRI) kartiert.
Naturwälder sind Waldgebiete, in denen viele der
ursprünglichen Charakteristiken und Schlüsselelemente
von natürlichen Ökosystemen wie z.B. Komplexität,
Struktur, Diversität, vorherrschen. (FSC)
Definition Wälder mit hohem Schutzwert (High Conservation
Value Forests, FSC)
Wälder mit hohem Schutzwert weisen eines oder
mehrere der folgenden Merkmale auf:
a) Waldgebiete, die in global, regional
oder national bedeutsamem Ausmaß Häufungen von
Indikatoren biologischer Vielfalt (z.B. endemische
oder gefährdete Arten, Rückzugsräume) und/oder
ausgedehnte Waldlandschaften, in denen tragfähige
Populationen der meisten oder aller natürlich
vorkommenden Arten in natürlicher Verteilung und Häufigkeit
vorkommen, aufweisen.
b) Waldgebiete, die in seltenen,
bedrohten oder gefährdeten Ökosystemen liegen oder
diese bergen.
c) Waldgebiete, die grundlegende
Schutzfunktionen erfüllen (z.B. Schutz von
Wassereinzugsgebieten).
d) Waldgebiete, die wesentlich für die
Grundbedürfnisse der lokalen Bevölkerung (z.B. Ernährung,
Gesundheit) und/oder entscheidend für
deren traditionelle kulturelle Identität sind
(Gebiete von kultureller, ökologischer, ökonomischer oder
religiöser Bedeutung, die in Zusammenarbeit mit der
lokalen Bevölkerung ausgewiesen werden).
6: Siehe Prinzip 10 des
Forest Stewardship Councils (FSC)
7:
http://www.fern.org/pubs/reports/footprints.pdf
8:
http://www.globalreporting.org/
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